Sankalpa
Sankalpa (aus dem Sanskrit – “Absicht, Entschluss”) ist ein Vorsatz vor der Durchführung einer Puja (Verehrung einer Gottheit), den man im Gedanken oder wörtlich ausruft. Dieser Begriff hat viele Kontexte. Im weitesten Sinne ist Sankalpa eine Iccha Shakti (Iccha – „Wille“), eine der größten Energien des Absoluten. Im “Siddha-Siddhanta Paddhati” spricht Gorakshanath darüber, dass diese Shakti dem Absoluten (Nija Shakti) gleicht und sich als sein Willen manifestiert.
Sie ist zwiespältig und kann sich als zwei Energien zeigen – Dharma und Adharma, Yoga-Mahavidya und Mahamaya. Jedes Ritual ist nichts anderes als die Entfaltung unserer göttlichen Natur nach außen, z.B. wenn wir, dem Absoluten ähnlich, die höhere Wirklichkeit offenbaren, indem wir Yantras oder Murti Sthapana formen, wenn wir Avahana und Pranapratishtha machen und die göttliche Erscheinung aufrechterhalten, indem wir sie betrachten und wenn wir von der Gottheit Abschied nehmen, indem wir Visarjana machen.
Auf diese Weise verschlingen wir das Ergebnis der Puja in uns, was auf der mikrokosmischen Ebene dem Pralaya entspricht. Die gesamte Puja ist im Grunde genommen eine Handlung, die kosmische Prozesse wiederspiegelt, wie auch jeder Prozess im Yoga eine Wiederspiegelung von Prozessen im Makrokosmos ist. Das Ritual eröffnet den Zugang in jene Dimension, in welcher das Verständnis eines Willens über der Ebene der “raumzeitlichen” Praxis liegt. Wenn der Mensch nun aber den Zugang zu einer solchen Wechselbeziehung der Außen- und Innenwelten noch nicht realisiert und nicht verstanden hat, dass alle Konzepten, die wir auf die Welt projizieren, nur die Illusionen unseres begrenzten Verstandes sind, so muss er die Gesetze befolgen, die ihm einen solchen Zugang ermöglichen. Solche Gesetze existieren in den Regeln der tantrischen Sankalpa. Sankalpa ist die Absicht, während einer bestimmter Zeit diese und jene Handlung auszuführen, in einem bestimmten Algorithmus, das kann man auch Vrata nennen, also eine Absicht, an die man sich strikt halten will.
In der traditionellen Yoga-Sadhana gibt es sehr viele Details zu beachten, man muss Ort, Zeit usw. berücksichtigen (Deshalb werden in Sankalpa-Texten viele Faktoren aufgezählt). Aber während der Praxis können verschiedene Störungen entstehen, die das Einstellen von einem bestimmten Plan verursachen, deshalb braucht man bestimmte Fertigkeiten, um sie zu überwinden. Diese Störungen können sowohl äußerlich als auch innerlich sein.
Dem Praktizierenden können verschiedene Gedanken kommen und auf halbem Wege könnte er sich es doch noch anders überlegen. Da er es mit Gottheiten zu tun hat, praktiziert und von ihnen Darshans erhält, verändert sich seine Wahrnehmung. Deshalb, um adäquat während der Purashcharana und Tapasya diese Prozesse zu beherrschen, darf man nicht aufgeben. Dazu tragen eine ruhige Wahrnehmung und die Fertigkeit bei, sich in jedem Moment von äußerlichen und innerlichen Störfaktoren abstrahieren zu können.
Sankalpa vor der Puja
Eine Sankalpa bei der Puja ist nichts anderes als die Iccha Shakti einer Gottheit auf der mikrokosmischen Ebene. Diese Sankalpa ist mit Aspekten der jeweiligen Gottheiten verknüpft, man muss den Einfluss von Nakshatras (Gestirnen), Grahas (Planeten) usw. berücksichtigen. “Chakreshvara” (Leiter des Chakra, Hauptpujari) muss das alles bei Durchführung von bestimmten Pujas berücksichtigen und abhängig von der Jahreszeit muss er dementsprechende Sankalpas den zeitlichen Einwirkungen entsprechend formen. Es ist besser, eine Sankalpa für alle Teilnehmer zu formen, unter Berücksichtigung aller Aspekten der Götter und astrologischen Angaben. In diesem Fall wird Puja wirksamer.
Die Sankalpa existiert im Puja-Kontext als eine besondere Textart, wo verschiedene Bedingungen wie Zeit, Ort, die Gnade des Gurus usw. aufgezählt werden. Dies ist notwendig, damit sich die Aufmerksamkeit nicht auf überflüssige raumzeitliche Faktoren zerstreut. Für die Realisierung einer Aufgabe darf man sich in erster Linie nicht durch Unwichtiges ablenken lassen, deshalb wird im Sankalpatext das aufgezählt, was mit der konkreten Sadhana zu tun hat, darin besteht der wahre Sinn der Sankalpa in einer Puja.
Wirksamkeit
Eine Sankalpa kann auf einem hohen Niveau gegeben sein, also ohne weltliche Motivationen (Nishkama Sankalpa), aber auch als Ashudha Sankalpa (nicht rein), mit konkreten Wünschen (Sakama), wenn ein weltliches Ziel gesetzt wird, das unter bestimmten Bemühungen realisiert werden kann. Im Tantra ist beides akzeptabel, abhängig von den Bestrebungen kann man sich von weltlichen Angelegenheiten abgrenzen oder im Gegenteil darin eintauchen. Aber je begrenzter unser Wunsch ist, desto mehr steht er im Widerspruch zu vielen Objekten und Erscheinungen dieser Welt, und so ist die Verletzung von Ahimsa unvermeidlich. Der Sinn von Ahimsa besteht nicht darin sich zu widersetzen, sondern zu lernen, bessere Resultate ohne zusätzliche Konfrontationen zu bekommen. Also sollte der Wunsch mit verschiedenen Seiten des Absoluten im Einklang sein, dann wird er unzerstörbar. Natürlich ist diese Kunst nicht jedem gegeben und man erlernt sie ohne Eile, schrittweise.
Viele Inder sehen Sannyasa und Entsagung als Verzicht und die Aufgabe aller Sankalpas und Vikalpas, doch es muss nicht unbedingt sein, dass diese alle vollkommen ausgemerzt sind, in Wirklichkeit ist das unmöglich. Tantra und Natha Yoga lehren, dass Sankalpas und Vikalpas Instrumente unseres Bewusstseins sind. Wenn das Bewusstsein entwickelt ist und seine Attribute richtig verwendet werden, dann kann ein Sadhaka dadurch harmonisch und geistig Fortschritte machen. Man kann nur selten radikale Handlungen durchführen, bei denen man viel Energie investiert, aber wenn man so etwas dann mal macht, dann wird das sehr präzise und effektiv. In erster Linie muss man in einem ruhigen Zustand wahrnehmen lernen, weil das, was man betrachtet, das kann man auch verstehen, und das, was man versteht, das kann man auch verändern.
Die Fertigkeit, effektive Veränderungen im Außen vorzunehmen, ist die richtige Realisierung von Sankalpa. Es entsteht ein Paradox: Man lässt die Wünsche los, um sie zu realisieren, taucht in einen Leere-Zustand ein, um auf eine vollkommene Art und Weise die Form zu erschaffen. Viele Formen auf dieser Welt sind brüchig und instabil, weil das Formlose darin sehr schwach ausgedrückt wird.
Fragen an Guru Yogi Matsyendranath Maharaj
Wie sollte die Sankalpa sein, um Samarasya (wörtl. „gleicher Geschmack“, Zustand vollkommener Ausgeglichenheit) zu erreichen? Was sollte ein Sadhaka wollen, um erleuchtet zu werden?
Wenn man in Samarasya ist, braucht man seinerseits nichts zu wollen. Wenn es um Samarasya in einer Puja oder Homa geht, dann enthält sie das Wichtigste, was mit der Realisierung eines Mantras verbunden ist: die richtige Zeit, der richtige Ort, das Mantra usw. Also, solch eine Sankalpa ist eine Art Disziplin: Sie wird in einer Tradition mit allen Vorschriften weitergegeben, es ist eine Art Versprechen, welches zum Beispiel darin besteht, dass man eine bestimmte Anzahl von Mantra-Rezitationen oder eine Puja macht. Man kann auch sagen, dass man seinen Wunsch in solche Rahmen setzt, die ihn realisieren lassen. In manchen Sankalpas, z.B. in der Kubjika-Tradition, muss man noch Devatas der Gegend verehren, also man muss seinen Willen in eine solche Strömung integrieren, die seine Realisierung fördert.
Man muss die Bedingungen berücksichtigen, bei denen eine Sadhana realisiert wird. Das Thema „Samarasya“ ist nicht so einfach und Sankalpa spielt dabei eine große Rolle, weil sie scheinbar zum Wohl aller Lebewesen beiträgt. Das sieht so aus, als ob Sie vor Gericht wären und dem Richter beweisen müssten, dass Sie keine Naturgesetze verletzt haben. Haben Sie einmal gesehen, wie die Fische gegen eine starke Strömung schwimmen? Sie integrieren sich einfach, deshalb kann die Strömung sie nicht beiseiteschaffen, sogar wenn sie stark ist. Wenn man dann falsch Wiederstand leistet, dann wird alles in Stücke geschlagen. Damit das nicht passiert, gibt es die Sankalpa mit ihren Regeln. Tantriker sind überhaupt sehr demütige Menschen, Yogis umso mehr.
Entspricht die Sankalpa, auf der Ebene des Samarasya, dem „Prapatti“ im Vaishnavismus (wie sie bei den Shri Vayshnavas beschrieben ist)?
Ich denke, dass man Prapatti leicht mit dem “freien Willen” Sadashivas gleich setzen kann. Obwohl Vishishtadvaita und der ziemlich monistische Kaschmir‘sche Shivaismus äußerst verschieden erscheinen, gehört Vishishtadveita zu einem wesentlichen Bestandteil des Trika-Elements als Göttin Parapara. In Wirklichkeit sind die drei Tattvas (Shuddha Vidya, Ishvara und Sadashiva) eine einzige sich entfaltende Wirklichkeit der Chidananda Shakti, welche die Tattvas der Shakti (Vimarsha) und die Tattvas Shivas (Prakasha) enthält.
Dementsprechend entspricht die Entfaltung (Unmesha) aller Erscheinungen dem Willen des Absoluten, und die Verschlingung (Nimesha) ist ebenso sein Willen. Genau genommen, ist der Wille des Absoluten die Ausrichtung auf die Erhaltung eines nicht-dualen Zustandes, welcher aber höchst schöpferisch ist und dabei alles in sich miteinschließt, auch Maya und “niedrige” Tattven. „Das Niedrige” lässt sich sogar ziemlich gut mit Samarasya vereinbaren, weil „das Niedrige” Geschmack (Rasa) verleiht ohne Begrenzungen seitens Dvaita.
Der Sinn des non-dualen Tantrismus wäre unvollständig, und es gäbe keinen Grund für das Gleichgewicht von Geschmäcken, wenn es nicht den Grund ihrer Erscheinung gäbe, und zwar die Realität der Schöpfung. Und Prapatti (sich selbst Gott komplett hinzugeben) vom Standpunkt des Kaschmir‘schen Shivaismus aus bedeutet die Erlaubnis seinerseits zu geben, damit die gegebene Realisierung auch passiert. Im Kaschmirischen Shivaismus ist Gott auch im persönlichen Willen da.
Gewissermaßen ist es so, dass der Gott in uns sich erlaubt durch uns (also durch sich) Gott zu erreichen (sich selbst), kurz gesagt ist der Unterschied des göttlichen Willens und unserem Willen sehr bedingt. Sogar Maya stellt hier kein Problem dar, eher ist sie der Grund für das Spiel des transzendenten Bewusstseins Shivas (Chidvilasananda). Wenn man die ganze Sache in diesem Kontext betrachtet, so vermitteln selbst die Elemente der Puja (in diesem Fall Sankalpa mit ihrem scheinbar begrenzten Inhalt) mittels ihrer Begrenzung eine gewisse Orientierung zu mehr Transzendenz.
Author: Yogi Matsyendranath Maharaj